Bei der Alten Liebe
"Ein Bild hat nur Leben durch den, der es betrachtet." (Pablo Picasso)
Wir leben von unseren Erinnerungen, vor allem und gerade, wenn wir Kunst betrachten. Unsere Erinnerungen beeinflussen aber auch KünstlerInnen bei der Entstehung von Werken. Erinnerungen wandern, von uns zumeist unbemerkt, durch unser Bewusstsein und beeinflussen unser Wohlbefinden. In künstlerischen Aktivitäten werden diese Erinnerungen dann auch für Dritte sichtbar; im Bereich der bildenden Kunst also in Form von Bildern oder wie bei B.C.Barten in Form von Wandskulpturen. Unter anderem darin liegt für uns BetrachterInnen die Faszination von Kunst. Wir erfahren Dinge über die Seele eines Menschen, wenn dieser sich künstlerisch äußert. Das gilt auch für diese Wandskulptur von B.C.Barten aus dem Jahr 2020.
Sie hatte nach eigenen Angaben keineswegs die Absicht, dasjenige darzustellen, was dieser Arbeit nach deren endgültigen Fertigstellung den Titel gab. Sie hat "nur" die betont grafische Gestaltung ihrer Leinwand aus Paperclay gereizt. Im Ergebnis entstand ein optisch-ästhetischer Widerhall dieser bestimmten Stelle am Ufer der Elbe in Cuxhaven. Das dort als historisches technisches Relikt aufgestellte Semaphor besitzt einen ihm innewohnenden grafischen Reiz, losgelöst von dessen früheren Funktion als Übermittler von Wetterdaten an auslaufende Schiffe. Das Semaphor wurde so zu einem die Landschaft prägenden Gestaltungselement. Als solches tritt das grafische Element, das diese Wandskulptur bestimmt, in das Bild. Es wird ergänzt durch andere grafische Einzelelemente, die wiedererkennen mag, wer diese Stelle an der Alten Liebe in Cuxhaven aus eigener Erinnerung kennt. Man kann sie ebenso gut als abstrakte bildnerische Einzelelemente betrachten, die zur Gesamtstimmung dieses Reliefs beitragen. Ergänzt wird dieser Erinnerungseindruck durch die farbliche Gestaltung. Mittlere Brauntöne, dazu Grüntöne und sandfarbene Flächen bestimmen - in Abhängigkeit von der Jahreszeit - den realen Vorfluterbereich der Elbe an der Alten Liebe in Cuxhaven.
Nichts davon hat die Künstlerin bei der Erarbeitung dieses Reliefs bewusst als Ziel verfolgt. Man kann nur vermuten, dass sich in dieser Arbeit Erinnerungen an Erlebtes Bahn gebrochen haben, ohne dass sich die Schöpferin bei der Arbeit dessen bewusst war. Das Relief lässt auch keine Rückschlüsse auf das Seelenleben der Künstlerin wärend des Erarbeitens zu. Das macht schon deshalb keinen Sinn, weil der handwerkliche Aspekt, der ja auch zu dieser Arbeit gehört, einen Zeitraum von etlichen Stunden abdeckt, die sich auf mehrere Tage und Wochen verteilen. Es beginnt mit dem Auswalzen der Grundplatte als Leinwand aus Paperclay. Diese Leinwand muss ein wenig antrocknen, um die für die folgenden Arbeitsschritte notwendige Stabilität zu erlangen. Das fertig gestellte Relief muss trocknen. Dann erst wird es bemalt wie eine Leinwand. Auch dieser Teil der Erarbeitung kann sich über mehrere Tage erstrecken. Erstaunlicherweise weiß die Künstlerin bei jedem Arbeitsschritt genau, wann dieser beendet ist, wann sie ihre Aufmerksamkeit also dem nächsten Schritt zuwenden kann. Woher sie das weiß, kann sie allerdings nicht erklären.
Am Ende kommt aus dem Brennofen ein Kunstwerk ans Tageslicht, das in BetrachterInnen Erinnerungen weckt. Diese müssen sich keineswegs mit den Assoziationen der Künstlerin decken, wenn diese ihre fertige Arbeit betrachtet. Dennoch strahlen die Arbeiten von B.C.Barten keinerlei Zufälligkeit ab. Im Gegenteil, ihre Arbeiten weisen alle eine formal erkennbare, gedankliche Mitte auf. Die farbliche Gestaltung unterstützt genau diesen Eindruck. Form und Farbe gehören auch für Laien erkennbar zusammen. So, und nicht anders, ist die Ausgestaltung offensichtlich stimmig. Nur deshalb ruft sie beim Betrachten in den Köpfen der Menschen Assoziationen hervor, die eine eigene innere Bilderwelt Wirklichkeit werden lassen. Die Idee, dass man das auch anders hätte darstellen können, kommt dabei gar nicht auf. Der für dieses Relief angegebene Titel stammt daher auch nicht von der Künstlerin, sondern vom Autor dieses Beitrages. "Wandrelief" wäre alles, was der Künstlerin als Titel zu ihrem Werk einfallen würde. Pablo Picasso wurde nicht zufällig zu Beginn dieses Beitrags zitiert.
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