Abstrakte Wandskulptur ohne Titel

ohne Titel

Paperclay aus schwarz brennendem schamottierten Ton,                                                          kollageartig kombiniert mit Schrottelementen und Glasgranulat

                                                                                    2020/21

   Immer dann, wenn ein Gemälde oder eine Skulptur weder ein erkennbares Objekt noch eine erkennbare Szene darstellt, spricht man von abstrakter Kunst. Dieser Oberbegriff bleibt als Definition allerdings insgesamt vage. In der Kunstkritik wird immer wieder mal in Frage gestellt, ob ein Gemälde als abstrakt bezeichnet werden sollte, oder aber doch eher nicht. Dazu gehören selbst so berühmte Gemälde wie die späten Seerosenbilder von Claude Monet. 

 

 Zu den gut gemeinten Ratschlägen bei der Betrachtung abstrakter Kunstwerke gehört auch der Rat, sich nicht als erstes nach einem Titel zu erkundigen. Dieser Rat macht aus meiner Sicht des Kritikers durchaus Sinn. Viele KünstlerInnen aus dem Bereich abstrakter Kunst vermeiden ohnehin enthüllende oder den Geist lenkende Titel, weil das Ziel eher darin besteht, BetrachterInnen mit dem Kunstwerk interagieren zu lassen, ohne ihnen dafür einengende Vorgaben mit auf den Weg zu geben. Wenn abstrakten Gemälden doch Titel beigegeben sind, dann sind diese zumeist extrem unklar. Titel wie z.B. Abstraktion Nr. 4  spiegeln wohl in erster Linie die Hilflosigkeit der KünstlerInnen wieder, die nicht den Mut haben, auf Titel ganz zu verzichten, weil Kunstwerke angeblich einen Namen haben müssen. Müssen sie aber nicht; jedenfalls gilt dies für abstrakte Kunstwerke.

 

   Diese Wandskulptur dokumentiert das Vergnügen, das die Künstlerin B.C.Barten bei der verknüpfenden Verarbeitung verschiedener Materialien hat. Die Kombination von Ton und Metall ist mit normalem Ton nicht verarbeitbar. Also greift die Künstlerin für solche Arbeiten zu Paperclay, einem Ton, dem sie Zellulose beimischt. Paperclay hält Eisenteile auch beim Brennen "eisern" fest. So kann sie die ungeschrühte Wandskulptur mit Glasurfarben bemalen. Bei dieser Arbeit hat sie zusätzlich Grasgranulat zur farblichen Gestaltung eingesetzt und sich dadurch gleichzeitig die andersartige Oberflächentextur gestalterisch zu Nutze gemacht. Zusätzlich hat sie die im ersten Arbeitsschritt flach ausgewalzte Tonplatte  plastisch verformt und den Rand zum Teil hoch gebogen. Der dunkle Charakter des Tons entstand erst durch den Einsatz einer schwarzen Glasur.

 

   Der Kritiker kann sich einmal mehr nicht des Eindrucks erwehren, dass die Wandskulptur beim Betrachten die Verhältnisse ins Gegenteil verkehrt, will sagen, dass ich als Betrachter aus der Wandskulptur von einer Art Fabelwesen prüfend abgeschätzt werde, so, als ob es wissen wollte, ob ich als Betrachter überhaupt etwas tauge. Das ist natürlich mein ganz subjektiver Eindruck, der von niemandem geteilt werden muss.  Auf mich wirken die beiden Glasgranulatfelder wie überdimensionierte, weit aufgerissene Augen. Das unten quer eingearbeitete Metallelemente hat für mich Züge eines verschlossenen, schmallippigen Mundes. Zwischen den Augen verläuft schräg so etwas wie eine Nase. Die verformte Grundplatte jeweils hinter den Glasgranulatelementen erscheinen mir wie zwei Ohren. Sie mögen mich, den Kritiker, für leicht verschroben halten, aber im Ergebnis fühle ich mich beim Betrachten selbst betrachtet. Da sich diese Wahrnehmung in mir einmal festgesetzt hat, kann ich sie auch nicht mehr aus meinem Bewusstsein auswischen, so, wie man eine Kreideanschrift auf einer Tafel mit einem Schwamm auswischt. Kein noch so wassergetränkter mentaler Schwamm der Welt lässt diesen Eindruck des Gesichts, das einen - nicht unbedingt wohlwollend - anblickt, verschwinden. Darin besteht für mich der emotionale Reiz dieser Wandskulptur. Als Kritiker ziehe ich den Hut vor B.C.Barten, der es einmal mehr gelungen ist, mich assoziativ einzufangen. Chapeau!

 

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